Freitag, 1. Oktober 2010

Newsflash

Wie einige von euch ja vielleicht schon mitbekommen haben oder aber noch werden: hier in Ecuador geht es gerade etwas drunter und drueber…
Darum hier ein kurzer Lagebericht, ich moechte betonen, soweit ich es beurteilen kann:
Also, zunaechst einmal vorneweg, mir geht es gut und ich brauche mir keine Sorgen zu machen!!
Die Situation ist etwas kompliziert, Yannis und ich bekamen das erste mal gestern (Donnerstag) in der Schule etwas davon mit, es kamen nach und nach immer mehr Eltern um ihre Kinder, zum Teil auch schon deutlich vor Unterrichtschluss abzuholen. Meine Mutter war ziemlich am „herumwuseln“ (Direktorin) und sagte mir auch, ich sollte ja nicht wie geplant nach der Schule in die Stadt fahren, da das Land „verrueckt geworden sei“. Als wir Luis fragten, erklaerte dieser uns die Situation etwas genauer: Die Polizei haette aus Protest gegen den Praesidenten (Rafael Correa) begonnen zu streiken und nun herrsche eine rießige Unordnung, in Carapungo selbst seien bereits zwei Banken und eine Mall ueberfallen worden. Auf die Frage, ob dies schon mal vorgekommen sei, lachte der „alte Hase“ Luis, und meinte, ja, schon oft! :)
Waehrend wir so warteten, wie es weiter gehen sollte, rief auch das VASE-office an, berichtete im Prinzip dasselbe und riet uns einfach zu Hause zu bleiben.
Da auch nicht klar war, ob am naechsten Tag die Schule stattfinden wuerde und wie es weiterhin mit Transportmoeglichkeiten aussieht, fuhr ich vorsorglich mit Yannis zu ihm um nicht evtl. tagelang alleine zu Hause zu sitzen. Es fuhren tatsaechlich deutlich weniger Busse, aber ansonsten konnten wir bis auf eine kleine, 15-Mann starke Demo und eine begonnene Straßensperre (massiver Bauschutt auf einer der drei Fahrbahnen) kaum eine Veraenderung ausmachen: es waren noch immer sehr viele Leute unterwegs und so sehr wir auch danach Ausschau hielten konnten wir, zumindest rein optisch, keinen Ausnahmezustand erkennen. Wir wurden dann letztendlich von Yannis Gastbruder mit dem Auto abgeholt und waren gegen 15:00 Uhr bei ihm. Dort angekommen, gingen wir zu allererst zum Supermarkt gegenueber und wappneten uns mit „Hamsterkaeufen“ fuer den bevorstehenden Nachmittag: Bier, Chips und Schokolade gehoeren einfach unweigerlich zu einem guten Scrubs-Tag… :D
So schauten wir eine Folge nach der anderen, waehrend nebenher die Fernseh-Nachrichten liefen. Außer einer ziemlich großen Demo von Unterstuetzern Correas auf dem Hauptplatz Quitos ( vor dem Praesidentenpalast) sahen wir aber wenig spektakulaeres. So genossen wir beruhigt den Nachmittag und fanden die außergewoehnliche Situation eigentlich recht aufregend. Am Abend brachten wir uns mittels deutschsprachiger Internet-Nachrichten auf den neuesten Stand, schauten danach noch einige Folgen Scrubs und gingen dann ohne groeßere Sorgen ins Bett. Da es wohl nach wie vor relativ kompliziert mit Transportmitteln aussah und am naechsten Tag nun tatsaechlich die Schule abgesagt war, uebernachtete ich bei Yannis.

Das Bild, das wir uns nun aus den Informationen des Internets, der Gastfamilie von Yannis und dem Fernsehen „zusammenreimen“ koennen, sieht folgender maßen aus:
Einleitend vielleicht ein kurzes Wort zum Praesidenten, der eine zentrale Rolle in dem Ganzen einnimmt: Dieser heißt Rafael Correa und wurde 2006 ins Amt gewaehlt. Nach einer langen Tradition rechts gerichteter Fuehrer, die zwar in Ecuador nie gewaltsam-diktatorisch aber doch alles andere als demokratisch regiert hatten, handelt es sich bei Correa erstmals um einen links-populistischen „Mann des Volkes“, vergleichbar der vielleicht bekannteren Regierungschefs Venezuelas oder Boliviens, Hugo Chavez bzw. Evo Morales. Allerdings scheint er wohl bei weitem nicht so extrem zu sein, wie der „Showman“ Chavez.
Er kann insbesondere unter den aermeren Bevoelkerungsschichten auf große Unterstuetzung vertrauen. Diese hat er sich durch großzuegige Geschenke an die Aermsten gesichert, waehrend er gleichzeitig immer wieder verbal auf die wohlhabenderen „Eliten“ Ecuadors „eindrosch“, die ihm dementsprechend feindlich gegenueber stehen.
Gleichzeitig war es im letzten Jahrhundert auch nicht unueblich, dass das Militaer starken, politischen Einfluss ausuebte, so endeten in den zehn Jahren vor Correas Amtsantritt gleich drei Regierungen durch einen Putsch.
Die aktuellen Unruhen haben aber wohl primaer gar nicht so viel mit diesen beschriebenen Spannungen zu tun, sondern sind ursaechlich auf ein vor einer Woche von Correa durchgesetztes Sparpaket zurueck zu fuehren, welches einen Teil der Landespolizeit betrifft. Bestandteil dieses Paketes ist es nämlich, dass er das Gehalt aller Polizisten angeglichen, bzw. gekürzt hat. Dies führte dann letztendlich zu der „Meuterei der Polizei“. Gleichzeitig scheint es auch deutlichen Wiederstand in seiner eigenen Partei gegen sein Vorgehen zu geben.
Aufgrund dieser Kuerzungen gab die Polizei gestern Morgen (Ortszeit, Donnerstag, 30.9.10) bekannt, die Arbeit im ganzen Land nieder zu legen, wobei Quito wohl am schwersten betroffen ist. Dies fuehrte zu Unruhen und Pluenderungen und veranlasste zahllose Anhaenger Correas sich auf dem Hauptplatz Quitos vor dem Praesidenten-Palast zu versammeln, um ihm ihre Unterstuetzung zu demonstrieren.
Etwas diffus ist die ganze Lage, da niemand so recht weiß, ob es sich lediglich um einen Streik oder doch um einen Putschversuch handelt. Zumindest wurde der Praesident auf der Straße taetlich von Polizisten angegriffen und es gibt auch Fernsehbilder die zeigen, wie unmittelbar neben seinem Kopf eine Traenengas-Granate detoniert. Das Polizeikrankenhaus, in welches er aufgrund dieser Vorkommnisse eingeliefert wurde, wurde sofort von aufgebrachten Ordnungshuetern umstellt.
Am Abend drohten diese wohl auch das Fernsehsignal zu kappen, was aber gluecklicherweise nicht geschah – dies haette garantiert nicht zur Deeskalation der Situation beigetragen.
Momentan weiß nun niemand genau, auf welche Seite sich das Militaer schlagen wird, was hoechst wahrscheinlich einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang des Konflikts hat. Nichtsdestotrotz erhaelt Correa Rueckendeckung aus dem Ausland, so sicherten ihm sowohl Hillary Clinton, Außenministerin der Vereinigten Staaten als auch Catherine Ashton, „Außenministerin“ der EU, ihre uneingeschraenkte Unterstuetzung zu, verurteilten die Vorkommnisse scharf und riefen zur Wahrung der Ordnung auf.

Die erwaehnte Armee begann dann nach Einbruch der Dunkelheit (ca. ab 20:00 Uhr) das von Polizisten besetzte Gebiet um das Krankenhaus „zurueck zu erobern“, was man auf allen Kanaelen live im Fernsehen mit verfolgen konnte.
Einerseits sehr spannend und besser als jeder Kinofilm ;), andererseits war das dann doch sehr befremdlich und beaengstigend. Vereinzelt sah man auch, ich denke „nur“ Verletzte am Boden liegen. Ueber eventuelle Opfer haben wir allerdings noch keine gesicherten Angaben.
Am spaeten Abend tauchte der Praesident dann sogar noch ueberraschend auf dem Dach seines Palastes auf und sprach sehr aufgebracht zu seinen Anhaengern, die ihn begeistert empfingen.

Wie sich die Lage nun weiter entwickelt ist glaub ich noch schwer zu sagen, zunaechst hat der Praesident jedenfalls einmal fuer eine Woche den Ausnahmezustand ueber das Land verhaengt.
Fuer uns besteht derzeit keine erkennbare Gefahr, wir sollen einfach im Haus bleiben und die weitere Entwicklung abwarten.

Ich versuche euch auf dem Laufenden zu halten und zu informieren, sobald es nennenswerte Neuigkeiten gibt.

Liebe grueße aus dem Krisengebiet,
Moritz

Ps: Wir mussten soeben feststellen, dass das ecuadorianische Fernsehen bereits wieder zu dem ueblichen, unertraeglichen Programm uebergegangen ist, irgendwie etwas merkwuerdig… :S

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